»Nehmen gilt als Menschenrecht, das Geben ist bloß für die Doofen«

Robert Harrison, die Vorsitzende im Bundesverband Kleinwüchsiger Menschen und Jakob Augstein


»[…] Wir reden, wir widersprechen einander, wir streiten, aber wir reden die ganze Zeit miteinander, weil wir die Vernunft teilen. Das ist die Essenz des Politischen. Und Politik findet nur da statt, wo Menschen sich als vernünftige Erwachsene begegnen. Tun sie es nicht, bleiben Betreuung, Verwaltung – und Geschrei.«

Geschrei? Sie übertreiben.
»Keinesfalls. Vico beschreibt ja die Zyklen vom Aufstieg und Fall der Kulturen. Wenn ich seine Terminologie auf unsere Gegenwart anwende, kommt es mir so vor, als würden wir uns am Ende des Zeitalters des Menschen befinden. Vico spricht vom Umschlagen in die Barbarei. Aus Vernunft wird Skeptizismus, aus Skeptizismus wird Zynismus – nach dem Motto: Wahrheit existiert nicht, sondern ist bloss das Ergebnis von Illusionen und Trugschlüssen in einem menschlichen Machtspiel. Vico antizipiert das Zeitalter der Fake-News. Und er gibt uns zu verstehen: Nicht die Fake-News sind das Problem. Das Problem sind die Menschen, die sich um die Wahrheit foutieren. Ich würde gerne nochmals Vico zitieren, seine Analysen sind sehr triftig.

Nur zu – auch wenn Sie sich nun definitiv als Kulturkritiker outen.
»Ich gebe gerne zu, dass mir viele der beschriebenen Entwicklungen Sorgen bereiten. […]«

Historische Parallelen sind illustrativ, aber auch riskant. Wir stehen heute ja nicht vor einem Bürgerkrieg – auch die USA nicht.
»Was wir sehen, ist aber ein Kulturkampf. Die Vernunft von immer mehr Menschen steht in seinem Dienst. Es kommt – wiederum in den Worten Vicos – zu einem Barbarismus der Reflexion, die dafürhält, dass alles, was wir sehen, auf Manipulation und Täuschung beruht. Und wenn alle täuschen, darf ich auch selbst täuschen. Wenn ich keine Wahrheit mehr über mir akzeptiere, ist alles erlaubt, und der einzige Massstab ist mein Ego, der Einfluss meines Ego, die Macht meines Ego. Oder anders gesagt, und damit schliesst sich der Kreis: Die Selbstsucht wird zur eigenen Wahrheit. Ist es okay, wenn Vico das Schlusswort hat?«

Ich fürchte allerdings, es bleibt dann düster.*


1.*
Robert Harrison versucht den Interviewer René Scheu genauso sehr zu überzeugen, wie dieser versucht, sich nicht überzeugen zu lassen. Dabei sind die Argumente des Kulturphilosophen Harrison durchaus einen Diskurs wert. // Robert Harrison über Wohlstandsbürger: »Nehmen gilt als Menschenrecht, das Geben ist bloß für die Doofen«


2.
Passiert es Ihnen auch noch, dass über Sie gespottet wird? »[…] da kommt einer und sagt: ›Das freut mich ja so, dass Sie sich hierher gesetzt haben. Ich habe so lange keinen Liliputaner mehr gesehen. Dass war früher meine Spezialität.‹ Das hat der wirklich gesagt: Spezialität! Und dass er sich das ja früher immer im Zirkus angesehen hat, aber das gebe es ja heute leider nicht mehr.« Was haben Sie gesagt? »Der war an die 80. Ich weiß inzwischen auch, welche Debatten sich lohnen und welche nicht. […]« Dass Mitleid wenig mit Inklusion zu tun hat, erklärt Patricia Carl-Innig gut. Sie ist Vorsitzende im Bundesverband Kleinwüchsiger Menschen und weiß, wie entfernt viele Menschen von einem respektvollen Miteinander sind – vor allem, wenn einer von ihnen nicht attraktiv ist. // »Bis die Leute nicht mehr starren«

3. Herr Augstein, Sie sind der erste prominente Publizist, der es vor ein paar Wochen gewagt hat, öffentlich mit Karlheinz Weißmann und folglich mit einem der zentralen rechten Vordenker zu diskutieren. Nach dem Mord an Walter Lübcke, den verrohten Reaktionen von Pegida-Anhängern, gegen die nun die Staatsanwaltschaft ermittelt, und der Kritik an Frank Plasbergs »Hart aber fair«-Sendung zum Thema: Warum reden Sie mit Rechten? »Der Dramatik, mit der Sie Ihre Frage formulieren, kann ich nicht ganz folgen. Ich bin Journalist, es ist mein Beruf, mit allen möglichen Leuten zu sprechen. Ich muss mit Rechten reden, wenn ich verstehen möchte, warum sie bei einem Teil der Wähler so gut ankommen. […]« Manchmal ist es erschreckend, wie einfach Logik sein kann. Aber umso schöner ist es, wenn sich einer nicht zu fein ist, sie trotzdem noch mal auszuführen – für all jene, die’s am Ende doch nicht begriffen haben. Jakob Augstein wird in diesem Gespräch nämlich dazu verdonnert, das Einmaleins der Pressefreiheit aufzusagen. Eins, setzen. // »Die demokratische Gesellschaft muss sich mit der AfD befassen«

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