Til Mette, eine Landzahnärztin und ein Psychologieprofessor
»Ich weiß nicht, warum man empört sein möchte. Es hat wahrscheinlich was mit unserem momentanen Lebensgefühl zu tun. Klar ist, dass die Karikatur von drastischer Optik lebt. Und das hat Empörungspotenzial. Das Wort »Karikatur« bedeutet »Übertreibung«. In der Süddeutschen Zeitung gab es während einer Redaktionskonferenz ernsthaft die Idee, dass man in Zukunft bei Karikaturen auf Übertreibung verzichten wolle.«
In der »Süddeutschen Zeitung« sind, wie auch in der »New York Times«, Karikaturen mit eindeutig antisemitischen Merkmalen erschienen.
»Wenn Dieter Hanitzsch das ›o‹ in ›Eurovision‹ durch einen Davidstern ersetzt, reproduziert er das klassische antisemitische Sterotyp des Juden, der die Unterhaltungsindustrie unterwandert.«Wenn Benjamin Netanjahu mit großen Ohren und wulstigen Lippen gezeichnet wird?
»Benjamin Netanjahu hat wulstige Lippen und abstehende Ohren. Es wäre ja völlig bekloppt, wenn man den nicht so zeichnen würde.«*
1.* Cartoonist Til Mette verteidigt inbrünstig Karikaturen und Satire – so sehr, dass es einem mitleidig in der Brust zieht. Denn wer will schon eine Welt voll von Humorlosen? // »Linke zensieren gern«
2. »Ich bekomme sehr viel Post von Betroffenen und Angehörigen, die voller Dankbarkeit sind. Auf der anderen Seite aber haben meine eigenen Kollegen, als ich damit anfing, misstrauisch Konkurrenz gewittert. Die wussten genau, dass sie sich eigentlich selbst so etwas überlegen müssten.« Und warum machen die das nicht? »Es ist einfach nichts, womit sie reich werden. Es ist etwas, wo man bewusst sagen muss: Ich fühle mich nicht nur denen verpflichtet, die noch zu mir kommen können. Also die Gesunden, Schönen und Reichen. Ich kümmere mich auch um die Menschen, die das alles nicht sind. […]« Eine Zahnärztin fährt in der Uckermark über Land, um Patienten zu behandeln, die es nicht mehr in ihre Praxis schaffen. Einige sind zu schwach, andere schlichtweg ohne Auto. Das Trauerspiel der Landflucht kennt sie live. // »Ich bin da, vom Roller bis zum Rollator«
3. »[…] Der Mensch ist ja eigentlich stolz darauf, zwischen Impuls und Handlung den Verstand einschalten zu können. Im Dauererregungszustand aber entfällt die Reflexion, ob unser Verhalten richtig ist oder welche Folgen es für andere haben könnte. […]« Ist so ein Verhalten psychologisch gesehen für den Einzelnen sinnvoll? »Natürlich, sonst würde es nicht so oft vorkommen. Wenn wir im Augenblick hoher Erregung – sei es Wut, Hass oder überbordende Ungeduld – unsere Bedürfnisse durchsetzen, fühlen wir uns stark. Der so oft erfahrenen Ohnmacht und Fremdbestimmung schleudern wir ein starkes Signal der Selbstermächtigung entgegen. In dem Moment wissen wir wieder, was zu tun ist und wähnen uns völlig im Recht.« Schon im Alten Griechenland war man ätzend zueinander, sagt Dr. Ernst-Dieter Lantermann. Doch viele fühlen sich heute angestifteter denn je, vermeintlicher Ungerechtigkeit mit lautstarker Wut zu begegnen – für all jene hat der Psychologieprofessor eine Handlungsanweisung. Ruhig Blut also. // »Stimmung wird immer gereizter«