»Oh, aber ich bin ein Individuum, ich verhalte mich nicht wie ein Milchmolekül«

Robert Spaemann, Neil Johnson und der Chef der Essener Tafel


»Andy Warhol sagte einmal, Liebe sei nichts als eine chemische Reaktion. Was sagen Sie, was Liebe ist, Professor Spaemann?
Na ja, was Warhol da sagt, kann eigentlich nur jemand sagen, der noch nie jemanden geliebt hat. […]

[…]

Sie sagen, dass jeder, der auf die Frage, warum er diesen Menschen liebt, eine Antwort geben kann, noch nicht wirklich liebt. Warum?
Wenn wir uns verlieben, werden wir angezogen durch bestimmte Eigenschaften des anderen, die uns berühren. Seine Schönheit, sein dies oder das. Es ist ein ganzes Konglomerat von Eigenschaften und eine Synthese von Qualitäten. Wenn die Liebe aber tiefer eindringt in den Menschen, dann verbindet man – und das wollen gerade junge Menschen auch – ganz persönlich das eigene Schicksal mit diesem anderen Menschen. Da beginnt man das Abenteuer, dass man sich aufeinander einspielt, wie im Jazz, wo zwei Spieler miteinander improvisieren, aber eben so, dass es zusammenpasst. Wo also jeder hört, was und wie der andere spielt. Wo der nächste Ton schon antizipiert wird, um ihn entsprechend zu beantworten, und zwar der erste wie der zweite und der zweite wie der erste. So geht es in einer lebenslangen Beziehung. Die Entwicklung des einen geht nicht ohne das Zusammenspiel mit der Entwicklung des anderen.

Und warum greift zu kurz, wer weiß, warum er den anderen liebt?
Das will ich ja gerade erklären. Es sind am Ende also nicht so sehr bestimmte Eigenschaften dieses Menschen, die der Grund der Liebe sind, wo man sagen müsste, wenn er diese Eigenschaften verliert, dann ist es vorbei mit der Beziehung. Nein, eine wirklich personale Beziehung geht über diese Eigenschaften hinaus. Denn die Person ist ja nicht ein Konglomerat ihrer Eigenschaften, sondern deren Träger. Und auf die Person zielt die Liebe. So gehe ich auch das Risiko ein, dass der andere sich auf eine Weise verändert, die vielleicht schwer erträglich ist. Dennoch gilt die Bindung der Liebe nicht den Eigenschaften, sondern der Person. […]

[…]

Warum ist die Liebe stark wie der Tod, wie das Hohelied sagt?
Weil die Liebe in gewisser Hinsicht ein Sterben ist. Ein Sterben des Egozentrischen, des Hängens am eigenen Leben. […]«*


1.*
Robert Spaemann philosophiert so hochkarätig, so dicht und so entwaffnend ehrlich über die Liebe, dass sie fast greifbar wird. // »Die Liebe überwindet alles«

2. »Sie vergleichen Hass mit chemischen Verbindungen und greifen auf die Polymerforschung zurück. Wie haben Sie dieses Framework entwickelt? Es geht hier nicht um analoge Bilder. Wir haben uns angesehen, wie die Daten und Zahlen sich verhalten und Ähnlichkeiten zur chemischen Anbindung festgestellt. Wenn Sie Milch in den Kühlschrank stellen, gerinnt sie nach und nach und ist plötzlich sauer. Der Grund dafür ist, unter dem Mikroskop betrachtet, dass sich Partikel miteinander verbinden. Mathematisch funktioniert der Zusammenschluss von Menschen zu Gruppen genauso. Nun ist die Standardreaktion: ›Oh, aber ich bin ein Individuum, ich verhalte mich nicht wie ein Milchmolekül.‹ Ja, aber im Kollektiv machen wir das sehr wohl, da andere unser Verhalten mitbestimmen. […]« Neil Johnson erforscht die physikalische Wirkung von Hass. Dabei wird deutlich, dass die Schlimmsten nicht unbedingt das Schlimmste sind, sondern die vielen weniger Schlimmen. // Moleküle des Hasses

3. »Sie wurden wegen dieser Aktion als Ausländerfeind hingestellt … Das Ganze kam daher, weil eine Journalistin der Westdeutschen Allgemeinen zwar einen guten Artikel über unser Vorgehen geschrieben hatte. Aber die Überschrift lautete – wohl aus Platzgründen, weil nicht mehr Wörter in die Zeile passten: ›Essener Tafel nimmt keine Ausländer mehr auf‹. Dabei hätte sie heißen müssen: ›Essener Tafel nimmt vorübergehend keine zusätzlichen Ausländer mehr auf‹. Noch am gleichen Tag kamen WDR, Sat.1 und RTL. Und am nächsten Tag standen acht Fernsehwagen vor der Tafel. […]« Populismus funktioniert in alle Richtungen. Markus Bär von der Augsburger Allgemeinen versucht daher wettzumachen, was die Journalistin der WAZ wohl vergeigt hat: Er hört dem Chef der Essener Tafel tatsächlich zu. // »Man treibt die Leute reihenweise zur AfD«

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